19
Mrz
2012

Tag 10

Mit freundlicher Genehmigung von Stefan, der per Email sehr weiterhilft, um Guapa zu verstehen:

Hi Steffen,

Angst ist ein von der Natur vorgegebenes Reaktionsmuster, das dazu dient, Gefahren zu erkennen und adäquat auf sie zu reagieren. Man könnte Angst als ein körpereigenes Alarmsystem beschreiben, das jedes Lebewesen in die Lage versetzt, rechtzeitig zu flüchten, oder gegen die Gefahr zu kämpfen. Dies gilt für Hunde genau so wie für Menschen. Angst ist also eine lebenswichtige und natürliche Reaktion.
Die körperlichen Prozesse und die starke Erregung, die mit Angst einhergehen, setzen bei jeder Angstreaktion ein. Auch wenn ein Hund nicht mit einem Gegner kämpfen oder vor einer Gefahr flüchten muss, löst sein Alarmsystem die Abläufe der so genannten „Kampf-Flucht-Reaktion“ aus. Also auch, wenn der Hund allein in der Wohnung Angst hat, oder sich z. B. vor Fahrrädern fürchtet, sagt ihm sein Alarmsystem: „Versteck dich! Flüchte! Und wenn du das nicht kannst, dann kämpfe.“ Und das tut er dann auch.

Viele Verhaltensweisen, die ängstliche Hunde zeigen, können wir erklären. Aber ebenso viele Ausprägungen von Angstverhaltensweisen scheinen Hundehaltern und wirklich auch Trainern unerklärlich. Angstverhalten ist ein kompliziertes Gebilde, da sich verschiedene Verhaltenskreise von Hunden überschneiden können und sich dann auch nicht in feste Kategorien zwängen lassen. Ängstliche Hunde können uns ihre Angst-Erfahrungswelt auch nicht so schildern, wie wir es von uns Menschen in Therapiesituationen kennen. Also wissen wir nicht immer, welche Maßnahmen und Therapiemethoden im Einzelfall erfolgreich sein können.

Können wir überhaupt Maßstäbe aus der menschlichen Angst-Erlebniswelt anwenden und was ist mit den therapeutischen Möglichkeiten? Ist es überhaupt Angst oder ist es Furcht? Oder eine Phobie? Angstverhalten bei Hunden stellt auch mich echt vor viele Rätsel.

Nur eine Sache wissen wir sicher: Angst ist eine höchst individuelle Angelegenheit!

Kann ein Hund grundlos Angst haben?

Uns erscheint unsere Wohnung sicher; niemand Fremdes kann hinein, alles ist gut und friedlich. Es gibt keinen Grund, in dieser Wohnung Angst zu haben! Deshalb ist es schwer zu verstehen, warum der Hund beispielsweise in der Wohnung Angst hat, wenn er dort allein ist. Es ist doch seine vertraute Umgebung! Oder: wir Menschen wissen genau, dass weder von Joggern, noch von alten Herren mit Hut und Stock eine Gefahr ausgeht. Trotzdem gibt es viele Hunde, die vor ihnen Angst haben.

Laute Geräusche sind sicherlich manchmal unangenehm, aber man muss vor einem Knall oder einem Gewitter doch keine Angst haben! Autofahren ist eine prima Angelegenheit. Man kommt schnell, warm und trocken von A nach B. Also, kein Grund, sich im Auto zu fürchten!

Sind Hunde dumm, dass sie so grundlos Angst haben? Natürlich nicht und ihre Angst ist nie grundlos. Du musst dich nur ein wenig mit dem natürlichen Hundeverhalten befassen, um zu verstehen, warum das Angstverhalten des Hundes sinnvoll und wichtig ist.

Angst ist auch ein Lernprozess

Angst vor bestimmten Dingen oder in bestimmten Situationen zu haben, ist unter anderem das Ergebnis eines lebenswichtigen Lernprozesses. Gut zu erklären ist das mit einem viel zitierten (mir abkömmlichen) wissenschaftlichen Experiment, dem „Pawlowschen Hund“. Pawlow, ein russischer Physiologe, machte folgenden Versuch:

Zunächst stellte er fest, dass sein Hund beim Anblick des Futters Speichel absonderte. Eine von der Natur angelegte Reaktion zur Vorbereitung auf die Nahrungsaufnahme, die jeder Hundehalter kennt. Außerdem stellte er fest, dass der Hund auf das Klingeln eines Glöckchens nicht mit Speichelabsonderung reagierte. Wozu auch? So weit, so logisch. Nun ließ Pawlow aber immer dann das Glöckchen klingeln, wenn er dem Hund das Futter hinstellte. Und nach kurzer Zeit zeigte sich das Resultat: Der Hund sonderte jedes Mal Speichel ab, wenn er das Glöckchen hörte - selbst wenn es dazu gar kein Futter gab. Diesen Vorgang nennen Lernpsychologen klassische Konditionierung.

Genau mit diesem und verwandten Reaktionsmustern können „Sitz“, „Platz“, „Hier“, „Pfui“ und eben auch Ängste erlernt werden. Wenn der Hund eine bestimmte Situation gleichzeitig mit einer beängstigenden oder quälenden Wahrnehmung oder sogar Schmerz erleben muss, kann er die Situation mit dem Gefühl „Angst“ verknüpfen. Später wird er dann in ähnlichen Situationen Angst empfinden, auch wenn er keine Schmerzen hat und nicht bedroht wird. Es reicht unter Umständen ein einziges traumatisches Erlebnis, um bei einem Hund eine tief sitzende Angst zu manifestieren. Die Folge: das Verhaltensprogramm Angst läuft dann in ähnlichen Situationen sozusagen automatisch ab.

In der Wildnis macht dieser Mechanismus durchaus Sinn. So lernen wild lebende Tiere, vor welchen Dingen und Situationen sie sich in Acht nehmen müssen; sie lernen das Überleben unter anderem durch das „Hilfsmittel“ Angst.

Ängste - Definitionen und Ausprägungen?

Aus unserer menschlichen Sicht können wir zwischen den nützlichen Ängsten und den behindernden Ängsten unterscheiden. Sehr nützlich ist es zum Beispiel, wenn ein Hund in südlichen Ländern Angst vor Schlangen hat oder ein frei laufender Hund wegläuft, wenn ein Auto schnell auf ihn zu fährt. Behindernd ist Angst, wenn so genannte Fehlverknüpfungen stattgefunden haben. Dies passiert zum Beispiel häufig bei Hunden, die einen Weidezaun berühren und einen elektrischen Schlag bekommen. Viele Hunde haben im Anschluss an dieses Erlebnis Angst vor dem Vieh, auf das zum Zeitpunkt des Schrecks ihre Aufmerksamkeit gerichtet war, nicht vor dem Zaun. Das ist ein Beispiel für eine klassische Fehlverknüpfung.

Tipp: Woran du Fehlverknüpfungen erkennen kannst.

Ein Beispiel: Dein Hund zeigt ganz plötzlich, ohne für dich erkennbare Auslöser, ein rätselhaftes (z. B. schreckhaftes) Verhalten. In solchen Situationen kannst du probieren, die Situation genau zu analysieren: Wer oder was war anwesend? Welche Geräusche waren zu hören? Gab es Gerüche, die ungewöhnlich waren? Versuch mal, in die Sinneswelt der Hunde einzutauchen: Hunde sehen (im Verhältnis zu uns Menschen) sehr schlecht, können z. B. in anderen (höheren) Frequenzbereichen wesentlich besser hören, riechen um ein Vielfaches besser und sind sogar in der Lage, für uns nicht wahrnehmbare Stoffwechselprozesse (z. B. Angstschweiß oder Stimmungswechsel) sehr genau wahrzunehmen.

Plötzlich auftretende Angstreaktionen können grundsätzlich auch Zeichen für Fehlverknüpfungen sein!

Behindernde Ängste werden auch Phobien genannt. Kennzeichnend für eine Phobie ist, dass der Gegenstand oder die Situation, die mit Angst besetzt sind, eigentlich gar keine Gefahren darstellen. Phobien sind im Grunde nicht schwer zu therapieren, denn alles Erlernte kann auch wieder verlernt werden. Eine Phobie die nicht oder falsch behandelt wird, kann dagegen recht weitgreifende Folgen haben. Phobien können die fatale Eigenschaft haben, sich zu verselbständigen und das Folgeverhalten zu beeinflussen.

Wo der Welpe am Anfang nur Angst hatte, auf den Arm genommen zu werden, hat der heranwachsende Hund mit der Zeit auch Angst, eine Treppe hinauf zu gehen und ist völlig außerstande, eine Brücke zu überqueren. Eine anfängliche Angst vor Knallern kann sich unter Umständen zu einer Panik vor jedem plötzlichen Geräusch auswachsen.

Bevor du also irgendeine Therapie ins Auge fasst, hier die allerwichtigste, erste Maßnahme: Vermeide möglichst jede neue Problemsituation! Geh den Auslösern von Problemverhalten mit deiner Hündin aus dem Weg! Denn: angstauslösende Reize wirken in falscher Dosierung auf das Verhalten sehr häufig selbstbestätigend (noch dazu neben dir!). Es tritt dann also bei wiederholter Konfrontation mit dem Angstauslöser keine Gewöhnung oder Linderung ein, sondern das Angstverhalten wird verstärkt.

Sensibilisiere dich! Schadet nie :-) Gruß an Madame!


Als ich mich zu Guapa niederknie, um sie während einer Wanderpause zu streicheln, betrachte ich die sie umgebende Welt in völlig neuer Dimension. Was ich als Herrchen aufrecht stehend sehe, ist nicht ihr Blickfeld, ist nicht ihre rein optische Wahrnehmung. Wir werden lernen müssen, uns auf gleicher Augenhöhe zu bewegen.

275 Zweibeiner lasen das.
logo

Guapa - Die Schöne

Neue Tage mit einem neuen Hund

Aktuelle Beiträge

DANKE, DU WUNDERSCHÖNE!
christine und steffen - 1. Nov, 21:36
DANKE..
für diesen wundervollen beitrag zum "geburtstag" ihrer...
bettina wenninger (Gast) - 12. Mär, 10:07
Häppi Burzeltag!
Liebe Guapa! Alles Gute und noch viele weitere schöne...
Andrea (Gast) - 11. Mär, 10:44
Tag 365 - MEIN JAHR
Da mein Herrchen nicht aus dem Knick kommt, hat Frauchen...
christine und steffen - 10. Mär, 19:43
Guapas Blog wird nie...
Guapas Blog wird nie beendet sein, Lotte-Motte. Nie!...
christine und steffen - 2. Dez, 22:47
Schade!
Guapa´s Blog ist anscheinend beendet. Sehr schade.
Lotte-Motte (Gast) - 26. Nov, 19:46
URL heißt: Man kann auf...
URL heißt: Man kann auf Annettes Namen klicken, also...
christine und steffen - 25. Sep, 22:22
Tag 191
In Erinnerung an Bianco, der Guapa mit letzter Kraft...
christine und steffen - 25. Sep, 19:53
url
möchte nicht anonym rüberkommen
Ynnette (Gast) - 23. Sep, 15:18
Himmel
Ich habe lange nachgelesen. Und es hat gutgetan neues...
Ynnette (Gast) - 23. Sep, 15:17
jetzt habe ich erst mal...
jetzt habe ich erst mal den ein und anderen beitrag...
rosmarin - 22. Sep, 00:26
Ja...
manchmal gehen wirklich Träume in Erfüllung - und das...
christine und steffen - 21. Sep, 23:43

Aufgestellte Ohren

Alphatier
Auto
Belohnungen
Brustgeschirr
Verhaltenstraining

Erlernte Kommandos

FUSS
LINKS + RECHTS
GUAPA STEH + LAUF

Profil
Abmelden
Weblog abonnieren