Tag 64
Vor kurzem gab es den zweiten verflixten Donnerstag. Ich hatte mit Guapa den abendlichen, flotten Spaziergang beendet, zog im Flur das enge Halsband über ihren Kopf, um ein noch vorhandenes auszutesten. Ein leiser, warmer Luftzug wehte durch das Haus. Versehentlich war die Terrassentür offen geblieben, denn Bianco hatte noch einmal den Garten inspiziert. Die Schöne witterte ihre Chance - und nutzte sie. In Bruchteilen von Sekunden war sie verschwunden, suchte das Weite.
Auf der Treppe sitzend und eine Zigarette nach der anderen rauchend, diskutierten Christine und ich lange über den nur allzu verständlichen Drang unserer Hündin, unangeleint, ungehemmt, unbestimmt ihr Leben in Freiheit zu genießen. Es dominierte dabei nicht verlustvolle Trauer, sondern Ernüchterung.
Ob Guapas Schläue skeptisch, die alte Fallenmethode nochmals anzuwenden, installierte ich dennoch das Seil von der Haustür bis zum Bürofenster und wartete am folgenden Freitagmorgen zwei Stunden in starrer Haltung vergebens auf die Schöne. Gegen 5.30 Uhr wußte ich definitiv, sie würde nicht erscheinen. Behörden, Ämter und Organisationen hatten wir in gemeinsamer Entscheidung noch nicht informiert.
Am Samstagmorgen: Schon vor drei Uhr in stockfinsterer Nacht wurde Christine durch Guapas Winseln, ja fast Bellen geweckt. Der Versuch, sie auf dem Grundstück auszumachen, war restlos unmöglich, da ich die Bewegungsmelder für das Außenlicht ausgeschaltet hatte. Noch vor vier Uhr begab ich mich in die Déjà-vu-Position des Vortages, obwohl alles so ganz anders kommen sollte.
Nachdem ich sparsam Leckerlies entlang des Weges vom Feld her ausgelegt hatte, kehrte ich zum Haus zurück und sah Guapas dunkle Umrisse auf dem Grundstück. Sie war also vor mir heimgekommen. Pochenden Herzens ignorierte ich die Nähe, prüfte die Seilinstallation und kehrte zu meinem "Hochsitz" zurück. Das duftende Frischfleisch war ausgelegt, sie mußte nur noch danach schnappen. ...
Die Schöne schnappte nicht. Sie winselte. Unerreichbar für mich. Jede Bewegung, jede Reaktion hinterfragend, bewegte ich mich, reagierte ich, verharrte und wähnte glühende Kohlen unter dem Stuhl mit dem Seil in der Hand und unfähig, unschlüssig, ungläubig sondierte ich jede noch so abwegige Idee, Guapa zurückzuholen.
Gegen 5.30 Uhr wußte ich, nichts würde aufgrund des einsetzenden Tageslichts gelingen.
Völlig resigniert prüfte ich die ausgelegten und unberührten Leckereien am Gartentor. Im Abwenden erschien mir unsere Hündin am Fischteich, legte sich hin an der Gartenbank. Wirklich fast wie in Trance bewegte ich mich leise auf Guapa zu, nahm sie ganz selbstverständlich auf, trug sie überglücklich zum Haus, die Treppen hinauf, setzte sie sanft im Flur ab. ...
Und wer jetzt immer noch nicht genug von diesem Krimi hat: Ein leiser, warmer Luftzug wehte durch das Haus. Ja! Denn ich hatte die Terrassentür irgendwann an diesem Morgen (hoffend) geöffnet und die Schöne suchte erneut diesen Weg. Anstatt jedoch hinauszustürmen, legte sie sich neben den Couchtisch im Wohnzimmer.
Bianco? Hat alles verpennt. Darum beneide ich ihn!