Tag 48
Am vergangenen Montag hatte ich mit Guapa einen Termin bei einer Tierheilpraktikerin. Nach einer etwa 90-minütigen Sitzung war zwar der Schönen Angst nicht besiegt, doch es kristallisierten sich wichtige Komponenten heraus, die für das reine Verständnis von Bedeutung sind: Guapa leidet unter der Heimatlosigkeit ebenso, wie unter dem Freiheitsentzug. "Vermenschlichen" wir uns ihre Situation etwas: Dem natürlichen Leben(sraum) beraubt fühlt sich Guapa unfreiwillig gezwängt in eine Obhut, die nicht ihrem Wesen entspricht. Gehen wir hierzu noch einmal zurück zu Tag 9. Sehr wohl hätte sie bereits nach dem ersten Frühstück "zu Hause" bleiben können, doch sie suchte - trotz der vielen Gefahren in ungewohnter Umgebung - nach dem Schmaus das Weite. Die Weite. Ihre Freiheit. Denn Guapas Heimat ist dieses Haus, sind zumindest diese beiden (Mit)Menschen noch lange nicht. Sich dessen bewußt zu sein, tut unbewußt weh, doch nur, wenn man sich mit den Realitäten auseinandersetzt, lassen sich neue Qualitäten schaffen.
Eine solch neue Lebensqualität erreichte ich. Madame sah seit längerem aus, wie ein räudiger Straßenköter. Fellbüschel, Schuppen, einfach nur ungepflegt, bedingt definitiv auch durch obige Fakten.
Vor vier Tagen nahm ich deshalb eine Fellbürste mit auf den Spaziergang, entschied mich allerdings, diese erst auf dem letzten Stück des Rückweges zu benutzen. Als sich Guapa auf gleicher Höhe mit mir befand, gab ich ihr das Kommando "Steh". Ich ließ sie in den Sitz gehen, hockte mich zu ihr nieder und führte die Bürste seitlich gegen die hintere Rückenpartie. Ein erschrockenes Zucken war die Folge, jedoch kein Wegspringen. Die Schöne genoß sichtlich die etwa fünfzehnminütige Pflege, welche ich in einem kleinen Abriß wiedergeben möchte:
♥ Dienstag: Ungläubig schaut sich Guapa im Sitzen stets um, genießt jedoch das feste Bürsten und ich darf übertriebenermaßen behaupten, daß ein Schaf geschoren wurde.
♥ Mittwoch: Ich übertreibe erneut, denn es war die Wolle eines zweiten Schafes. Allerdings legt sich die Schöne - und nun ohne Übertreibung - wirklich restlos wonnig in den Abendwind, schließt ab und an die Augen.
♥ Donnerstag: Bezirzt von dieser Art der Annäherung rollt sich die Schöne auf der grünen Wiese, während die Bürste eine Seelenmassage ausübt und zumindest noch ein halbes Schaf hinterläßt.
♥ Freitag: Ich suche eine neue, fellfreie Stelle auf der großen Wiese, doch Guapa bleibt abrupt stehen, setzt sich. Hündisch: Hallo? Irgendetwas vergessen??? Das habe ich natürlich nicht. Das Schaf ist nur noch ein Lamm. Die Schöne liegt nach vielen Seitenwechseln wirklich gänzlich auf dem Rücken, von Ruhholisgkeit oder Angst keinerlei Spur. Selbst dann, als der alte Sparkassendirektor, von dem ich bereits erzählte, nah mit seiner Frau zu uns herantritt und fragt: "Ist das die Hündin, die Ihnen entlaufen ist?" Als ich dies bejahe, erwidert er: "Das ist unglaublich."